Ein Beitrag zur EB Awareness Week von Andreas Miller
Wie jedes Jahr in den letzten Oktobertagen findet gerade die International EB Awareness Week statt. Sie wird noch bis diesen Sonntag weltweit gefeiert – von EB-Betroffenen, ihren Angehörigen und den gemeinnützigen Interessengruppen. Allen voran natürlich von den knapp 50 nationalen Organisationen der DEBRA – wie auch der IEB DEBRA Deutschland. Es geht dabei gemeinhin darum, in der Öffentlichkeit über Epidermolysis Bullosa (EB) aufzuklären, das allgemeine Bewusstsein für die Krankheit zu fördern und die Bedeutung von medizinischer Forschung zu betonen. Beim „Awareness Raising“ handelt es sich um eine bestimmte Form des Aktivismus, den ganz verschiedene soziale Gruppen in verschiedener Weise bestreiten. Zentral geht es darum, das Bewusstsein über eine Sache oder die eigene Gruppe zu fördern. Das kann – gerade im Zusammenhang mit EB – vieles bedeuten: Beispielsweise Not und gesellschaftlichen Handlungsbedarf aufzeigen und Spenden motivieren. Aber es können genauso Ansichten und Denkweisen hinterfragt und Unwissen und Ignoranz bekämpft werden. Ganz zentral dabei ist, gesellschaftliche Sichtbarkeit und Aufklärung zu vergrößern. Ein Anliegen, das nicht nur die DEBRA Organisationen ganz grundsätzlich verfolgen. Sondern etwas, das EB-Betroffene und auch ihre Angehörigen oftmals in vielen Alltags- und Lebenssituationen das ganze Jahr über leisten. Denn Awareness für und über die so seltene Epidermolysis Bullosa ist in den unterschiedlichsten Bereichen – von der medizinischen Forschung bis zum Alltag der Betroffenen und Angehörigen – eine zuweilen überlebenswichtige Angelegenheit. In den letzten Tagen habe ich mir zu diesem Thema, der „EB Awareness“ einige Gedanken gemacht und möchte sie hier mit euch teilen. „Awareness“, das bedeutet im Englischen erstmal so viel wie „Bewusstsein“, „Aufmerksamkeit“ oder auch „Gewahrsein“ – ein Wort also, das ganz vielfältige Bedeutungen haben kann. Und um einige dieser möglichen Bedeutungen, darum soll es in diesem Artikel gehen. Ich will dabei aufzeigen, an welchen Stellen und in welchen Dimensionen EB Awareness, oder die Abwesenheit dieser, für mich selbst eine Rolle gespielt hat.

Ich kam vor 28 Jahren mit Epidermolysis Bullosa Junctionalis zur Welt. In meinen ersten Lebensjahren war die EB natürlich für meine Eltern von Anfang an ein Thema: Ich hatte u. a. Blasen, Wunden, kaputte Nägel und poröse Zähne. Was meinen Eltern damals zunächst jedoch viel größere Sorgen als mir selbst bereitete. Andere Kinder haben sich mitunter vor mir „geekelt“ oder sich lustig gemacht, ich war damals oft ziemlich ausgegrenzt, aber dennoch habe ich mir meine Fröhlichkeit, Neugier und auch meine ziemliche Frechheit nie nehmen lassen. Öfter mal Wunden, Blasen, Schmerzen, das war für mich ganz normal. Ich fand damals auf ganz natürliche Weise einfach Wege, damit umzugehen.
Dann wurde EB jedoch zu einer schwarzen Wolke. Diese zog erst langsam und dann aber zunehmend auf und verdunkelte zunehmend viele Jahre meiner Jugend. Mit etwa neun oder zehn Jahren geschah das Unglück, ich fiel ich vom Rad und schürfte mir an den Beinen großflächig die Haut auf. Diese Stellen heilten nicht oder nur instabil ab, vergrößerten sich im Gegenteil immer weiter mit Blasen und wanderten großflächig über beide Beine. Schließlich hatte ich an den Beinen und auch teils an den Füßen große Wunden, Blasen, großflächig vernarbte Haut. Mal mehr, mal weniger und unterschiedlich große oder tiefe chronische Wunden. Das alles ist auch bis heute so geblieben. EB ist aber nun schon lange keine schwarze Wolke mehr für mich! Das Problem war damals: Ich machte zunehmend die Erfahrung was es heißt, eine Krankheit zu haben, zu der es kaum oder keine „Awareness“ gibt: Odysseen von einer Praxis zur nächsten. Ich landete schließlich in jahrelanger Behandlung im örtlichen großen Krankenhaus und dort herrschte auch beim Chefarzt der Dermatologie ziemliches Unwissen über EB und die adäquate Wundversorgung. Die Folge der mangelhaften ärztlichen und pflegerischen Kompetenz waren schließlich immer häufiger auch starke Infektionen, es gab einen Mangel an passenden Wundauflagen und Verbandsmaterialien sowie das fehlende Wissen über angemessenes Wundmanagement auf allen Seiten. Auch gab es andauernd Probleme mit der Krankenkasse und allgemein mit Arztpraxen, es war absolut katastrophal. Auch im Gesundheitssystem ist Awareness über EB bis heute keine Selbstverständlichkeit. Es waren damals für mich in vielerlei Hinsicht ziemlich schlimme Jahre. Meine Eltern haben alles versucht, es glich für sie aber einer Irrfahrt im Nebel. Ich verbinde mit dieser Zeit auch die Erlebnisse, das erste Mal durch Medien Informationen zu EB zu bekommen. Das erfolgte hin und wieder durch einige „Reportagen“. In diesen Sendungen wurde das Leid von Menschen mit EB ausgeschlachtet. Es ging nicht darum, ihnen Raum und Sichtbarkeit zu geben, sondern sie zu instrumentalisieren für die Sensationslust an der, so wie es mitunter heißt, „schlimmsten Krankheit, von der du noch nie gehört hast“. Nicht jede Art von Aufmerksamkeit und medialer Repräsentation ist auch automatisch gut oder angemessen. Das ist im Übrigen, so glaube ich, eine ganz wichtige Einsicht auch für das „Awareness Raising“. Welche Worte und Bilder sind wie und für welche Situationen angebracht?

Schließlich wurden meine Eltern jedoch auch auf die Interessengemeinschaft Epidermolysis Bullosa e. V. DEBRA Deutschland (kurz: IEB) aufmerksam. Ich erinnere mich, als ich etwa zwölf Jahre alt war und die IEB vermittelte meiner Familie den Kontakt zu einer erwachsenen Frau, die mit EBD lebte und die ich mit meinen Eltern besuchen fuhr. Dieses erste Treffen mit einer betroffenen Person hat mein Leben nachhaltig beeinflusst. Sie erzählte mir von ihrem Leben mit Epidermolysis Bullosa. Sie zeigte mir einige Tipps und Tricks. Aber wichtiger als jeder Ratschlag war die Begegnung. Wir redeten auch einfach über Sachen wie Lieblingssüßigkeiten, solche, die die Schleimhäute nicht so reizen. Wir beide mochten keine Mars-Riegel. Sie erzählte mir, dass Wintersport ihr Hobby sei und, dass sie das sogar aktiv selbst betrieb. Was mich damals total beeindruckte. Es mache zwar auch Wunden oder Schmerz, aber das war ihr egal: Der Spaß war wichtiger! Sie erzählte mir auch von ihrem Beruf und vielen anderen Dingen. Ich erkannte: Leben mit EB kann mehr sein, als nur passiv dasitzen. Das war übrigens vor ein paar Jahrzehnten mal das Logo von der DEBRA in den USA: Ein Kind in Verbände eingewickelt, das dahockt und raus aus dem Fenster schaut, die Welt nur passiv erlebt. Eine treffende Darstellung. Heute ist das zentrale, internationale Symbol da weniger traurig: Der Schmetterling. Auch wenn das ziemlich abgeschmackt sein mag: Schmetterlinge können tatsächlich fliegen.

Über die Jahre wurde ich mir selbst und Dingen bewusst: Ich lernte, es gibt immer Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen auf das eigene Leben, auch in argen Situation. Awareness kann ja Gewahrsein meinen, das ist auch ein Begriff in der Psychologie: Sich selbst in seiner Umwelt bewusst zu werden. Das hat vielleicht noch mal eine besondere Bedeutung, wenn gerade das Organ, dass unsere Körper nach außen zur Umwelt begrenzt, nicht richtig funktioniert oder teilweise einfach nicht da ist. Gewahr und Sein. Das bedeutete diese Begegnung für mich. So etwas passiert nun mal nicht aus dem Nichts heraus.
Meine Eltern wurden schließlich auch auf die Uniklinik Freiburg aufmerksam. Endlich bekam ich dort die richtige Unterstützung von wunderbaren Ärztinnen, die Epidermolysis Bullosa kannten, erforschten und mir zu helfen wussten. Ich bekam zunehmend alles an die Hand, konnte dann selbst Wissen und Erfahrung aufbauen, so dass ich heute eine für mich optimale Wundversorgung im Alltag habe und für meine Wunden zunächst selbst Experte bin. Die teils großen Wunden an den Beinen und Füßen, die habe ich heute noch, auch noch ein paar andere Dinge. Natürlich bringt ein Leben mit EB ungeheuer viel mit sich, das passt nicht in einen Satz, in einen Blogartikel und auch nicht ein Buch, das füllt eine Bibliothek und jeder Mensch mit EB hat da seine ganz eigene. Ich habe und sammle auch weiter Bewusstsein, Erfahrung und Kompetenz über mich und meinen Körper. Heute ist EB und sind die Erfahrungen mit EB auch ein Teil meiner Identität. Es ist etwas, worauf ich stolz bin.
EB kann jedoch eine grausame Sache werden und bei vielen Leuten in noch so viel entfesselterer und bedrohlicherer Weise, als das bei mir der Fall war oder ist. Ich hätte die liebe Person, die ich als Kind mit meinen Eltern besuchte, jetzt gerne noch einmal besucht, um mich für ihr Geschenk an mich – eine so besondere Form der Awareness – zu bedanken. Sie ist im Zusammenhang mit ihrer EB verstorben.
Hätte ich diese Begegnung mit ihr nicht gehabt, auch nicht die initiale Hilfe durch die DEBRA oder durch Freiburg bekommen, ich weiß nicht, wie mein Leben dann verlaufen wäre.
Eines bestimmt nicht mehr allzu fernen Tages wird die Forschung Methoden entdecken, das teils extreme Leid, das EB verursachen kann, noch viel besser als heute oder gar ganz umfassend zu verhindern. Ich wünsche mir das für viele andere noch viel mehr, als für mich, denn ich weiß: Meine Junctionalis ist vergleichsweise nicht so schwer ausgeprägt und ich habe die Ressourcen, um die EB und die Wundpflege gut in mein Leben zu integrieren. Ich bin aber auch der Ansicht, dass es nicht nur um die eine, finale „Heilung“ von EB gehen kann: Awareness führt zu Heilung im Großen, wie im Kleinen. Für neue Entdeckungen braucht es auch Awareness für gute Forschung, für all die Menschen, die an besserer medizinischer Versorgung für EB arbeiten und forschen. Und wenn das doch mal passiert, wenn es diese eine „Cure for EB“ doch mal geben sollte, auch dann noch wird „meine EB“ ein Teil von mir bleiben, auf den ich immer stolz sein werde.
EB Awareness oder ihr Fehlen spielte auch in meiner Erfahrung also eine Rolle in ganz vielen Dimensionen: Zunächst im Gesundheitssystem und in Krankenhäusern oder im Kontakt mit der Krankenkasse. Es fehlte oft an Bewusstsein für und Wissen um EB. In der Schule, später in der Uni, traf ich auf Unwissen, besonders. weil EB nicht bekannt aber auch, weil allgemein nach wie vor Mangel an Inklusion und Awareness für Menschen mit verschiedenen Behinderungen in unserer Gesellschaft und im öffentlichen Raum besteht.
Auch in ganz alltäglichen Situationen: Wenn ich manchmal beispielsweise einen Pool genutzt habe, dann habe ich den mitunter schnell für mich allein gehabt. Immer noch glauben Menschen, dass Wunden ein Zeichen für eine ansteckende Krankheit sind oder Menschen ekeln sich, auch wenn die hygienische Bedrohung sich jedoch – wenn überhaupt – dann gerade genau umgekehrt darstellt. Solche Dinge können sehr verletzend sein, ganz zu Schweigen von bösartigen Kommentaren und vielen anderen schlechten Situationen, die Vulnerabilität erzeugen kann. Auch nehmen manche Leute vielleicht an, dass Personen mit einer Behinderung oder mit EB nichts mit ihrem Leben machen können würden. Dass sie zu einem schlimmen Schicksal verdammt worden sind. Dass sie keinen Erfolg haben können im Leben oder kein so gutes Leben führen können, so wie man es ja selbst vermeintlich im Vergleich habe. Das alles bezeugt: Ein Fehlen von EB Awareness. Ich bin trotz allem in dieser Hinsicht aber für die Zukunft optimistisch: Denn ganz besonders will ich auf die vielen Betroffenen in aller Welt hinweisen, die ihre Stimme heben, über EB aufklären, anderen Menschen mit EB und ihren Angehörigen Inspiration geben und EB Awareness in all seinen möglichen Formen vermitteln wollen.
So war für mich persönlich die Arbeit von Lena von der DEBRA Austria unschätzbar inspirierend und ungeheuer bedeutungsvoll. Sie kämpft auf unterschiedlichen Kanälen für Awareness und Aufklärung und ich lese ihre Beiträge schon seit längerer Zeit. Tausend Dank, Lena!
Und ich will ganz aktuell auf die beiden IEB DEBRA Deutschland-Mitglieder Can und Sati aufmerksam machen. Ich habe neulich Can durch das Fernseh-Interview kennen gelernt und es hat mich glücklich gemacht und extrem beeindruckt, wie Can über sein Leben mit EB spricht und Menschen aufklärt. Dank ihm gab es eine fantastische mediale Repräsentation von einem EB-Betroffenen, die bei unterschiedlichsten Menschen und vor einem Millionenpublikum im öffentlich-rechtlichen Fernsehen EB Awareness schafft.
Und Sati klärt Menschen in ihrem neuen Instagram-Blog seit kurzer Zeit über EB und ihr Leben mit EB auf. Das ist so ungeheuer wertvoll, das bekämpft Irrglauben und bietet anderen Betroffenen Inspiration und Wissensaustausch.
Und Danke auch an die IEB DEBRA Deutschland, an alle Betroffenen, Angehörige und Freunde, die in Deutschland und in aller Welt das ganze Jahr über und nicht nur in dieser letzten Oktoberwoche für EB Awareness kämpfen!
Lena, Can und Sati sind unten noch einmal verlinkt. Habt Ihr Ideen oder Gedanken zum Thema EB Awareness? Welche Erfahrung habt ihr mit EB Awareness in jedweder Form oder habt Ihr weitere Links zu Blogs, etc.? Schreibt bitte alles unten in die Kommentare!
Lenas monatlich erscheinende Kolumne:
https://epidermolysisbullosanews.com/2021/09/28/writing-about-epidermolysis-bullosa-monthly-benefits/
Cans EB-Aufklärungsseite auf Instagram:
https://instagram.com/schmetterlingskrankheit?utm_medium=copy_link
Das Interview mit Can in der Sendung “Leeroy will’s wissen”:
https://www.funk.net/channel/leeroy-will39s-wissen-12187/wie-ist-das-die-schmetterlingskrankheit-zu-haben-1769819
Satis Instagram-Blog:
https://instagram.com/mein_schmetterlingsleben86?utm_medium=copy_link
Wissenswertes zur IEB DEBRA Deutschland:
https://www.ieb-debra.de